Joe Acheson ist Kopf des Hidden Orchestra, Joe schreibt Filmmusiken. Oli ist Kopf der Geschmacksverstäkerei, Oli schreibt Textfilme. Den Textfilm gibt es jetzt hier, die Musik dazu am 7. April:
Der Schrecken zu wissen, wie diese Welt funktioniert, führt zu massiven weiteren Problemen. Dabei ist der klärende Gehirnmechanismus doch so einfach und schließlich sind wir darauf trainiert, die Welt zu vereinfachen: es gibt nur Tulpen und Narzissen. Im Keller mit beiden eingesperrt heißt es häufig: ja oder nein, tertium non datur. Oder doch? Was sind wir selbst, wenn wir, sagen wir mal, etwas unter Druck geraten, außerhalb des Kellers? Blume oder Nichtblume? Ja, es gibt eine Situation außerhalb des Kellers, man vergisst es bei einem langen, dunklen Winter nur manchmal. Sind wir Menschen wirklich außerhalb der Asphalt, der die Blumen zudeckt, sind wir nicht natürlich, sind wir anorganisch? Unter Druck seien wir ganz wir selbst. Egal ob auf der Straße, unter der Straße, im Keller oder daneben. Blühblume natürlich nur, wenn man wirklich etwas daneben ist, etwas verrückt quasi, Lachblume oder Weinblume. Und die wollen nach einem langen, dunklen Winter heraus.
Machen wir es doch mal anders und verkomplizieren zur Abwechslung das mit dem Blühen und Vergehen. Die Schnittstelle zwischen Jahreszeiten und Blumen wird gemeinhin nicht genau erkannt. Vielfach wird sie auch verkannt und auf die Jahreszeit der Schnittblumen bezogen. Der Frühling kommt, die Tulpen und Narzissen kommen, um zu blühen, das scheint man zu sehen. Dabei sind sie das ganze Jahr unterirdisch vorhanden. Blumen sind mehr als die Summe ihrer Blüten. Tatsächlich! Manchmal verfaulen ihre Zwiebeln zwar im Herbst und im Winter, wenn es da unten zu nass wird. Im Frühjahr drückt die sich zusammenziehende Erdkrume die überlebenden Blumen aus ihrem kalten, feuchten Schoß und gebiert aus diesem Keller die buntesten Farben. Graue Blumen sind jedenfalls bislang nicht bekannt.
Auch nicht immer ist es bekannt, wie man selbst reagiert, wenn man zum allerersten Mal einem grauen Menschen begegnet. Angenommen man ist völlig auf blühende Natur eingestellt und freut sich an der Stille, die nur durch Sonne oder Regen ergänzt wird. Wird man sich dann genauso verhalten, wie wenn man sich in einem Beton- und Glasklotz neuerster Menschenmachart trifft? Manche denken, wenn sie im Regen stehen, dass dies Wind sei und sie freuen sich über die Wärme des Regens als ob es Sonnenschein wäre. Das hat man dann davon, dass das Gehirn des Menschen – sind er und es allein gelassen – in seltsame Gespräche mit dem Restkörper verfällt. Das Gehirn regt sich dann unter Umständen sogar über den brutalen Used-Look bei betonfarbenen Ostereiern auf.
Empirische Forschung ist unentbehrlich, um die tieferen Ursachen für dieses Denken zu erkennen. Warum entscheidet sich der Mensch nicht gleichzeitig für Beton und Blumen und warum glaubt er gleichzeitig an Sonne und Regen? Es ist zum verzweifeln, dass es die Menschheit bislang nicht geschafft hat, für diese wichtigen Fragen Forschungsressourcen zur Verfügung zu stellen. Viel lieber versinkt sie in Vulgärnaturalismus oder Audiobetonekel. Wahrscheinlich nicht unerheblichen Anteil hieran haben Kommunikationsprobleme des allein gelassenen Menschen. Zuviel Smalltalk hat er gelernt und quasselt so vor sich hin, schriftlich oder mündlich natürlich. Dem Menschen ist es jedoch nicht egal, ob er Andere trifft oder nicht, er erzählt immer was anderes, weil er immer anderes sieht oder zu sehen glaubt.
Man müsste also viel mehr Situationen erforschen, in denen der Mensch nicht existent ist oder alleine durch die Natur wandelt. Wir brauchen Zeugwarte für fliegende Druckerfarmen von Computern, die bei zu viel Wind und Regen gerne mal zu Boden abstürzen und Meditationsunterricht für die Evolution der selbstgetäuschten übrigen Menschen. Schulen für sie sollen aus dem Frühlingsboden sprießen und diese bunten Ideen verbreiten. Nur durch Vorleben lernen wir Vorlieben. Die Natur kann es uns zeigen, wie es geht. Hochintelligenter Frühling lässt unter Druck blühen, am besten im Regen und bei Sturm. Die Dinge müssen sich ändern.
Rhythms Del Mundo Feat. Keane / Under Pressur
Die Doraus und die Marinas / Tulpen und Narzissen
S.Y.P.H / Zurück zum Beton
Andreas Dorau / Wenn Du Menschen triffst
The Hidden Orchestra / The Windfall
Depeche Mode / The Sun & Rainfall
Folge 6 der Geschmacksverstärkerei: Die Dinge